Woid G'sichter: Josephine Nusshart
Neuraimundsreut. Der Besuch einer Ausstellung in München vor 23 Jahren war der Auslöser: Josephine Nußhart zeigte sich überrascht, dass dort der Raimundsreuter Hinterglasmalerei eine ganze Wand gewidmet worden ist. Ihr wurde bewusst: Die Kunst aus ihrem Heimatdorf ist wichtig, ist bedeutsam, muss mehr Aufmerksamkeit in der Heimat erhalten. „Seitdem bin ich infiziert“, sagt die die 80-Jährige und lacht. Sie hat inzwischen mehr als 100 Hinterglasbilder aufgestöbert und ist hauptverantwortlich dafür, dass sie in einem beeindruckenden Museum in Schönbrunn am Lusen einen Platz gefunden haben.
„Mama Museum“ wird Josephine Nußhart in einer Videopräsentation genannt, zu sehen in der neugestalteten Einrichtung. „Ist mir lieber als Oma“, erzählt sie mit einem Schmunzeln. Allerdings betont sie stets: Ja, ihr Anteil an der Entstehung des Museums ist groß.
Aber da waren und sind viele Menschen an ihrer Seite, die mitgeholfen haben, die ihre Leidenschaft für die Hinterglasmalerei teilten und immer noch teilen.
Allen voran ihr verstorbener Lebenspartner Max Mader.
Mama Museum Jospehine Nusshart
„Er war sehr kunstinteressiert“, berichtet sie. Mader ist es auch gewesen, mit dem sie Ende der 90er die Ausstellung im Münchener Lenbachhaus mit den zahlreichen Raimundsreuter Bildern entdeckte.
„Ich habe zu ihm gesagt: Zuerst suchen wir die Bilder aus Raimundsreut, dann kannst du dir den Blauen Reiter anschauen“, erinnert sie sich. Als sie dann eine ganze Wand mit Hinterglasbildern aus Raimundsreut vor sich hatte, habe es sie „umgehauen“: Kunstwerke aus ihrer Heimat neben Kandinsky und Co.
Das machte ihr bewusst, wie bedeutend die Bilder tatsächlich sind.
Es ist nicht in erster Linie deren Schönheit, die sie fasziniert, gibt Josephine Nußhart offen zu. „Wenn man sich damit befasst, dann sagen sie einem auch was“, erklärt die Kunstliebhaberin. „Und dann finde ich sie schön.“ An Details erkennt sie heute: Wann wurde das Bild gemalt? Stammt es aus Raimundsreut?
Die Geschichten hinter den Bildern sind es, die nicht nur Josephine Nußhart in ihren Bann gezogen haben.
Es waren einfache Leute damals, die auf die Idee kamen, Heiligenbilder auf Abfallglas aus den Glashütten zu malen und diese dann an Wallfahrer im nahgelegenen Kreuzberg bei Freyung zu verkaufen. Die Entstehung des Dorfes Raimundsreut, wo Josephine Nußhart geboren wurde und sie aufgewachsen ist, steht in engem Zusammenhang mit der Hinterglasmalerei.
Seit den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts fertigten die Glasmacher aus Raimundsreut die Bilder an. 30.000 bis 40 000 Stück im Jahr. Hinterglasmalerei war ein Handwerk, das die Familien im Dorf ernährte. „Das waren keine Künstler“, weiß Nußhart zu berichten. Trotz der Einfachheit ihrer Bilder hätten sie aber viel Ausdruck in die Gesichter der Heiligen gezaubert, Farben perfekt gemischt, Linien klar skizziert.
Sie selbst hat das Malen auf Glas zwar einmal ausprobiert, dabei aber schnell festgestellt, dass das nicht „das Ihre“ ist. Farben mischen, mit ruhiger Hand den Pinsel führen - das überlässt sie lieber anderen. Josephine Nußhart begibt sich lieber auf Schatzsuche: Mehr als hundert echte Raimundsreuter Hinterglasbilder hat sie in den vergangenen zwanzig Jahren zusammen mit ihrem Lebenspartner Max Mader und anderen Mitgliedern des Vereins „Freunde und Förderer des Raimundsreuter Hinterglasbildes“ aufgespürt und gekauft. „Das ist wie Schwammerlsuchen“, sagt sie und lacht. Auf ein außergewöhnliches Bild zu stoßen, sei vergleichbar mit dem Fund eines Dobernigls.
"Das ist wie Schwammerlsuchen"
Zwischen 200 und 1.600 Euro kostet so ein Bild, sagt die Sammlerin. Sie habe von einer Auktion gehört, bei der ein Einzelstück sogar für 10.000 Euro den Besitzer wechselte. Sie persönlich hatte nie die Mittel all die Bilder zu kaufen, musste sich stets auf die Suche nach Geldgebern machen. „Für mich selbst zu betteln, das könnte ich nie“, sagt sie. Aber für die Bilder um Geld zu bitten, das sei etwas anderes. Denn: Die Geschichte des Ortes Raimundsreut zu bewahren ist es ihr wert, viel Zeit und weite Reisen zu investieren.
„Das nimmt einen so gefangen und da hat man eine so große Freude damit“, berichtet die Rentnerin, während ihre Augen zu leuchten beginnen. Immer wieder habe sie auf der Suche nach Bildern interessante Menschen kennengelernt - und viel dazugelernt. 2004 richtete sie gemeinsam mit Max Mader und dem Förderverein ein kleines Museum in ihrem eigenen Haus ein, wo die Bilder für alle Interessierten präsentiert wurden.
„Ich habe es genossen, dass so viele gekommen sind, die was von den Bildern verstehen und die auch eine neue Sicht mit eingebracht haben“, sagt sie. Ein Ehepaar habe ihr etwa bei seinem Besuch ganz spontan geholfen, ein zerbrochenes Bild wie ein Puzzle wieder zusammen zu setzen. Man habe sofort Hand in Hand gearbeitet. Kunst, die verbindet.
Mittlerweile erkennt Josephine Nußhart ein Raimundsreuter Hinterglasbild zweifelsfrei. Beim allerersten Bild, das sie bei einem Sammler für 1.200 D-Mark erstand, sei sie dabei noch sehr unsicher gewesen. Erst nach dem Kauf konnte sie es einem Kunstexperten zeigen, der ein Buch über die Hinterglasmalerei geschrieben hatte. Als er die Echtheit und den Wert des Bildes bestätigte, fiel Josephine Nußhart ein Stein vom Herzen.
"Seither habe ich Zeit für mein Hobby."
Dass sie einmal zur Expertin für Hinterglasbilder werden würde, hätte die gelernte Buchhalterin nie gedacht. Das Interesse für die Heimat und die Geschichte des Bayerischen Waldes sei aber schon immer groß gewesen. Nach der Schule in Schönbrunn und Freyung habe sie immer in der näheren Umgebung gearbeitet, zuletzt viele Jahre lang als Buchhalterin in der mittlerweile abgerissenen Klinik Wolfstein am Geyersberg. 1999 ging sie in den Ruhestand. „Seither habe ich Zeit für mein Hobby.“
Seitdem besucht sie Museen, wälzt Bücher über die Hinterglasmalerei und sammelt geschichtliche Dokumente aus dem 18. und 19. Jahrhundert über das kleine Dorf Raimundsreut und diejenigen Familien, die die Bilder einst erschaffen haben. 150 Jahre lang waren deren Erzeugnisse aus dem kleinen Bayerwald-Dorf weithin bekannt. Kraxenträger brachten sie zu Fuß bis nach Oberbayern.
Seit zwanzig Jahren ist Josephine Nußhart bemüht, den Leuten der Ferienregion Nationalpark Bayerischer Wald die vormalige Bedeutung der Hinterglasmalerei für Raimundsreut und die gesamte Region wieder bewusst zu machen. „Ich möchte, dass dieses Handwerk, diese Kunst, wieder Anerkennung findet“, sagt Nußhart entschlossen.
„Ich möchte, dass dieses Handwerk, diese Kunst, wieder Anerkennung findet"
Mit der Eröffnung des Hinterglasmuseums im Juni 2020 ist ihr dies definitiv gelungen. Nußhart und zwei ihrer Vereinskolleginnen führen nun eine Besuchergruppe nach der anderen durch das „Hinterglaseum“, wie auf der Außenmauer zu lesen ist, und erzählen ihnen nicht nur, was die Hinterglasbilder so besonders macht, sondern bringen ihnen auch die Geschichte des Ortes Raimundsreut und des Wallfahrtsortes Kreuzberg näher.