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Woid G'sichter: Flo Ehrnböck

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Woid G'sichter: Flo Ehrnböck

Es hat nicht viel gefehlt und diese Geschichte wäre fertig erzählt gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hat. Die Folgen der Coronakrise hätten beinahe dafür gesorgt, dass das Lebenswerk von Flo Ehrnböck den Bach runtergeht. "Zu meinen Hauptabnehmern gehören Friseure - und die mussten bekanntlich während des Lockdowns schließen." Der Umsatz brach ein, dem 37-Jährigen fehlte nach kurzer Zeit das Geld, um seine Produkte produzieren lassen zu können, woraufhin er nicht einmal mehr seine Direktabnehmer bedienen konnte. Ein Teufelskreis, aus dem es keinen Ausweg ohne Hilfe von außen gab. Er setzte jedoch nicht auf irgendeinen Glücksritter, sondern startete eine Crowdfunding-Aktion - mit Erfolg. Ins Detail gehen will Ehrnböck vor dem Ablauf der Maßnahme noch nicht.

Preisträger der natürlichen Art

Die betriebswirtschaftlichen Sorgen, die die Zukunft betreffenden Befürchtungen - sie passen irgendwie nicht so recht zum selbst deklarierten Freigeist. Sein Äußeres hingegen entspricht seiner Selbstwahrnehmung. Das Zusammenspiel ist stimmig in jeder Hinsicht: Die weißen Chucks, die Schlabber-Hose, das etwas zu große, weiße Shirt, umrahmt von einer schlichten grauen Weste, dazu die Mütze, der charakteristische Rauschebart und das verschmitzte Lächeln. Dazu ein recht jugendlicher Sprachgebrauch mit Vokabeln wie "mega", "cool" oder "geil". Trotz seiner inzwischen 37 Jahre ist der Bayerwäldler ein Lausbub geblieben - nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich.

Eine Begebenheit, die diese Beschreibung eindrucksvoll beweist: Mit "Stenz - Beard Care", seinem selbstgegründeten Vertrieb von Bartpflegeprodukten und -accessoires, gewann er den German Brand Award 2018, den "Marketingpreis mit der höchsten Reichweite im deutschsprachigen Raum", wie der Veranstalter auf seiner Homepage schreibt. Bei der durchaus pompösen Preisverleihung in Berlin herrschte inoffiziell Anzugspflicht. Jedoch nicht für Flo Ehrnböck. "Ich bin dort so aufgekreuzt, wie ich hier sitze, weil ich mich so wohlfühle und nicht verstelle", erzählt er, deutet auf seine Klamotten und schmunzelt. "Erst hat man mich etwas herablassend gefragt, ob ich hier richtig wäre. Als die Leute dann erfuhren, dass ich Preisträger bin, wollten plötzlich alle neben mir sitzen und sich mit mir unterhalten." Kleider machen Leute - und Charakter macht Typen. So einer ist der gebürtige Niederalteicher, das steht fest.

Scheiß' da nix...

Apropos "Niederoida", wie sein Heimatort, der an der Donau am Rande des Bayerischen Waldes liegt, im Volksmund genannt wird: Geboren in gutbürgerlichem Hause - der Vater war Autoverkäufer, die Mutter Sekretärin -, erlebte der Freigeist eine "mega Kindheit". Was aus dem Munde eines "Alternativen", wie Andersdenkende rund um sein Geburtsjahr in den 80er Jahren noch etwas abschätzig bezeichnet wurden, ein bisschen paradox klingen mag, versucht er sogleich näher auszuführen. "Mir wurden zwar gewisse bodenständige und wichtige Werte vermittelt. Meine Eltern ließen mich aber auch an der langen Leine. Sie haben mich nie getrieben." Obwohl mehr drin gewesen wäre, reichte es am Ende „nur“ für einen Hauptschulabschluss - mit Ach und Krach. "Ich hab‘ mich nie was drum g’schiss‘n, was auf einem Zettel steht", fasst Ehrnböck auf typisch flapsige Weise seine Schulzeit zusammen.

Auswirkungen auf seinen beruflichen Werdegang hatte dies nicht. Denn für den jungen Mann stand bereits früh fest, was er werden möchte: Schreiner - wie der Großvater, der nicht nur aufgrund seiner Tätigkeit ein Vorbild gewesen ist. "Opa hat so gelebt wie vor 100 Jahren, was nicht abwertend gemeint ist. Er hat sich selber versorgt. Für ihn waren andere Dinge wichtiger als Geld. Und seinen Beruf ist er mit einer großen Leidenschaft nachgegangen." Florian Ehrnböcks Erziehung sowie sein Charakter spiegeln sich im Schreinerwesen wider. Da sind zum einen gewisse handwerkliche Fähigkeiten, die sich häufig wiederholen. Umgemünzt auf das Leben übersetzt: Werte und Tugenden. Da ist aber auch diese essentielle Kreativität bei der Umsetzung von Kundenaufträgen. Das, was man einem Freigeist wohl am besten zutraut.

Freidenkende deklarieren gerne für sich, nicht nach gewissen Schablonen zu leben. Über die Jahre hinweg haben sich jedoch einige Klischees herauskristallisiert, die bei dieser Menschengattung oftmals zum Vorschein kommen. Dazu zählt beispielsweise das Ausbrechen aus dem Alltag. Das einfach so dahin leben. Florian Ehrnböck erlebte diese Phase nach einem Snowboard-Unfall, bei dem er sich das Handgelenk gebrochen hatte. "In der Folge konnte ich nicht mehr wie zuvor als Schreiner arbeiten, was mich ziemlich mitgenommen hat." Der damalige Mittzwanziger ging deshalb nach München - einfach so. Und lud sich dort praktisch selbst in einem renommierten Designbüro zum Vorstellungsgespräch ein – einfach so. Und wurde genommen - einfach so. "Später hat mir mein Chef erklärt, dass ihn meine Ehrlichkeit und meine Ungezwungenheit überzeugt haben."

Alles nix G'scheits

Anfangs erledigte der Waidler die "Idiotenarbeiten", wie er selbst beschreibt. Er kochte Kaffee, holte die Brotzeit, legte das Papier in den Drucker. Nach und nach schwamm sich der umtriebige Schreinergeselle jedoch in der ihm branchenfremden Sparte frei. Beim Umzug in ein neues Büro übernahm er als gelernter Handwerker die Bauleitung. Eines Tages stellte man ihm dann die Frage, die für ihn schicksalhaft werden sollte: "Sie wollten wissen, ob ich fit am Computer sei - in meiner Naivität bejahte ich." Und plötzlich war der Bayerwald-Botschafter Systemadministrator in einem 50-Mann-Betrieb. Vorkenntnisse als Informatiker? Fehlanzeige! Er absolvierte deshalb aus eigenem Antrieb ein kleines "Bootcamp" und wurde zum Experten in Sachen Learning-by-doing. "Ich habe richtig viel Geld verdient", blickt er heute zurück. Doch glücklich war er nicht in der Landeshauptstadt - und das, obwohl er dort auch noch seine spätere Ehefrau kennenlernen durfte.

Er fühlte sich in der Metropole eingegrenzt, die Landluft fehlte ihm, die scheinbar unendlichen Weiten des Bayerwaldes. Und als dann auch noch Nachwuchs unterwegs war, stand für Familie Ehrnböck fest: "Wir haben keinen Bock, mit dem Kind in einer Schuhschachtel zu leben. Deshalb wollten wir zurück aufs Land." Ein Sacherl sollte das künftige Nest sein, ein alter Bauernhof, der ihn an seinen Opa erinnert und der eigenhändig saniert werden kann. Letztlich landete die junge Familie in Hintberg im Gemeindebereich von Kirchberg, "weil wir dort das ideale Haus gefunden haben, das aber in vielen anderen Orten auch hätte stehen können". 

In diese Zeit der Neuorientierung fiel auch der Geistesblitz, der letztlich in "Stenz - Beard Care" münden sollte. Flo Ehrnböck, selbst überzeugter Bartträger, griff schlicht und einfach einen allgemeinen Trend auf - und kam zu der Erkenntnis, "dass es zwar viele Kosmetikas für das Gesichtshaar gibt - aber nix G‘scheids". Deshalb machte er sich schlau, mixte verschiedenste Zutaten zusammen und brachte seine eigenen Bartpflegeprodukte auf den Markt. Produziert werden diese Artikel inzwischen im Großraum Augsburg. Für den Vertrieb ist der Erfinder in seiner Firmenzentrale, einer Mischung aus Schreinerwerkstatt und Büro, selbst zuständig. "Ja, doch", sagt er und ergänzt: "Dieses Leben füllt mich aus." Und er konnte - das war dem inzwischen pflichtbewussten Familienvater wichtig - auch den Anhang ernähren. Konnte. Bis Corona kam, der Umsatz von heute auf morgen wegbrach und sein Betrieb vor dem Aus stand.

Gute Seiten an schlechte Zeiten

Doch Florian Ehrnböck wäre nicht Florian Ehrnböck, wenn er nicht auch etwas Gutes im Schlechten sehen würde. Er stellte während des Lockdowns fest, dass seine Mitmenschen verstärkt zu sich selbst zurückgefunden hätten. Und er weiß es mehr denn je zu schätzen dort zu leben, wo er lebt - auf dem Land, im Dorf, im Bayerischen Wald.

Vorurteile gegenüber den Waidlern, sie seien etwa verbohrt, konservativ, gar dumm, könne er nicht nur entkräften, er versucht sie sogar mit aller Vehemenz aus der Welt zu schaffen. "Wie wir hier aufgenommen worden sind, obwohl wir anders sind - das ist einfach nur gigantisch", macht er deutlich und erzählt, dass er gleich zu Beginn seiner Zeit in Hintberg beim Maibaumaufstellen mithalf und die anschließende Feierlichkeit als einer der Letzten in den frühen Morgenstunden des nachfolgenden Tages verließ. "Seitdem bin ich einer von denen hier. Meinen Beruf muss ich am Stammtisch immer wieder mal erklären. Einige, denen ich es nie zugetraut hätte, haben sogar schon Produkte von mir gekauft."

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